von Theo Paul Flint
Der Ostwestfalendamm scheint heute wie selbstverständlich zu Bielefeld zu gehören. Dabei war sein Bau in den 1970er und 1980er Jahren mit zahlreichen Protesten verbunden.
Seit den 1950er Jahren arbeiteten Kommunalpolitik und Stadtverwaltung daran, Bielefeld an die Bedürfnisse des modernen Autoverkehrs anzupassen. Das Ziel war die autogerechte Stadt. In den 1970er Jahren formierte sich dagegen Protest. Bürger*innen versuchten kostbaren Wohnraum zu erhalten, der dem Straßenbau zum Opfer fallen sollte, und es setzten sich nachhaltige Formen der Mobilität ein.
Der Bau des Ostwestfalendamms veränderte das Stadtbild der angrenzenden Viertel: Während mit den an der Baustrecke ansässigen Firmen teils attraktive Verträge zur Verlagerung der Produktion in die Außenbezirke geschlossen wurden, mussten insgesamt 135 Wohnhäuser weichen. Der Beschluss zum Bau erfolgte 1963, die Bauarbeiten begannen 1968 und zogen sich von Süden nach Norden durch die Bielefelder Innenstadt. 1975 wurde das erste Teilstück am Johannistal eröffnet. Ende der 1980er Jahre folgte der Abschnitt bis zur Ausfahrt Jöllenbecker Straße am Hauptbahnhof, und Mitte der 1990er Jahre ging der Ostwestfalentunnel zur Eckendorfer Straße in Betrieb.
Die Pläne von Stadtpolitik und -verwaltung reichten aber viel weiter: Ursprünglich war auch eine Autobahnkreuzung im Kamphof-Viertel (Gebiet zwischen Nordpark und Hauptbahnhof) geplant, mit einer weiteren Hauptstraße entlang der Bahnstrecke Richtung Osten. Ulrich Burmeister und Christian Presch waren in einer Arbeitsgruppe gegen die Planungen aktiv und gerieten in Konflikt mit den städtischen Planungsbehörden.
„Wenn man so will waren wir Antimodern. Wir haben gesagt: ‚Diesen Fortschritt wollen wir nicht.‘“
Im Interview mit Christian Presch und Ulrich Burmeister, -> zum vollständigen Interview
Die Protestierenden argumentierten vor allem unter Verweis auf die herrschende Wohnungsnot. Zu klassischen Hausbesetzungen kam es im Gebiet des Bielefelder Westens eher seltener, stattdessen versuchten sich die Mieter*innen der Kündigung ihrer Mietverhältnisse entgegenzustellen. Wenn der Zeitpunkt eines geplanten Hausabrisses bekannt wurde, kam es allerdings auch zu Hausbesetzungen. Die Polizei räumte diese Häuser dann, wie zum Beispiel am Goldbach im Jahr 1982 (siehe Titelbild).
Gleichzeitig gab es auch einen künstlerischen Protest gegen den OWD. Die Musikgruppe „Rote Kapelle“ trat auf lokalen Veranstaltungen der alternativen Szene und in Kneipen zur Melodie von Kraftwerks „Autobahn“ mit dem „Ostwestfalendammlied“ auf.
Den Namen in Anlehnung an eine Widerstandsgruppe gegen die Herrschaft der Nationalsozialisten sieht der damalige Gitarrist Ulrich Bosse heute etwas kritisch:
„Naja die ‚Rote Kapelle‘ war im Nationalsozialismus eine Widerstandsgruppe. Die hatten gar nichts mit Musik zu tun, das war eine Art Tarnname. Das meinte ich mit ‚anmaßend‘, weil Straßenmusik zu machen ist nun nicht gerade unter Einsatz des Lebens.“
Im Interview mit Ulrich Bosse, -> zum vollständigen Interview
Hans Joachim Bannier war Mitglied der „Initiative gegen Stadtzerstörung und Wohnungsnot“. Seit 1977 setzte sich diese für den Erhalt der Häuser entlang der geplanten Strecke ein. Bis 1984 war man damit auf taube Ohren bei der Stadt gestoßen. In diesem Jahr wurden der Stadt durch den Minister für Stadtentwicklung von NRW Christoph Zöpel überraschend die Gelder entzogen, zusammen mit der Anweisung den Bau sozialverträglich zu beenden. Das bedeutete, dass der OWD an der Eckendorfer Straße endete und die ursprünglich geplante „T-Lösung“ fallen gelassen wurde.
„Das war natürlich der Hammer dann, weil das bedeutete, dass das Kamphof-Viertel nicht mehr abgerissen wird. (…) Damit hatten wir schon gar nicht mehr gerechnet.“
Im Interview mit Hans Joachim Bannier, -> zum vollständigen Interview
In den 1990er Jahren war dann mit der Eröffnung des letzten Teilstücks der Bau abgeschlossen und auch die Proteste beruhigten sich. Teilweise hatten sich aus den Initiativen feste Strukturen gebildet. 1979 war die „Bunte Liste“, die später in die Partei „Die Grünen“ aufging, überraschend in den Bielefelder Stadtrat eingezogen.
Anhand der Geschichte des Ostwestfalendamms kann also gezeigt werden, welch umstrittene Entstehungsgeschichte Verkehrsbauten haben und wie heutige Streitthemen – zum Beispiel um bezahlbaren Wohnraum und umweltgerechten Verkehr – bereits damals Stadtpolitik und Gesellschaft prägten.
Dieses und weitere Ereignisse der Mobilität im Überblick
Quellen und weiterführende Literatur
Tippelt, Frank (2016): Weißt du noch? Geschichten und Episoden aus dem Bielefeld der 80er Jahre, Kassel: Herkules Verlag, S. 3-9.
Gruppe Sanierungsbroschüre (1983): Stadtsanierung in Bielefeld, Bielefeld: Die Werkstatt.
Vogelsang, Reinhard (2005): Geschichte der Stadt Bielefeld, Band 3, Bielefeld: Hans Gieselmann, S. 410ff., S. 539.
Wagner, Bernd: Es roch nach Abriss, in: Viertel, 02.10.2007, S. 6.
Entstanden im Rahmen des Projektseminars “Stadtgeschichte digital – Bielefeld im 19. und 20. Jahrhundert”, 2023/24, Universität Bielefeld