Museum Wäschefabrik – Eine nahezu vergessene Erfolgsgeschichte jüdischer Textilunternehmer in Bielefeld

In der ehemaligen Wäschefabrik, die in einem Hinterhof der Viktoriastraße 48a im Bielefelder Spinnereiviertel angesiedelt war, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Ein Förderverein bewahrt heute die Geschichte dieses besonderen Ortes und macht ihn als Museum der Öffentlichkeit zugänglich.

Das Gebäude der ehem. Wäschefabrik „Juhl & Helmke“ 1986 – heute Museum Wäschefabrik, Quelle: Stolperstein-Initiative Bielefeld e. V.

Im Jahr 1884 gründete der jüdische Unternehmer Moritz Dahl in der Kreuzstraße 9 das Bielefelder Leinen- und Wäschegeschäft Fa. M. Dahl. Nach Dahls Ableben 1899 verkaufte seine Witwe den Betrieb an Hugo Juhl und Max Helmke, die beide zuvor dort gearbeitet hatten. Juhl und Helmke, die wie Dahl ebenfalls Juden waren, entwickelten den Betrieb in den folgenden Jahren weiter. Die Geschäftsübergabe verweist auf die starke Stellung jüdischer Unternehmer in der Bielefelder Textilindustrie, die bis heute nur schwach erforscht ist.

Erst 1907 erfolgte eine Namensänderung des Geschäfts in „Vereinigte Wäschefabriken Juhl & Helmke“. Obgleich Max Helmke 1911 als Gesellschafter aus der Firma ausschied bestand der Firmenname des Wäscheversandhauses weiter.

Infolge einer größeren Erbschaft von der Familie seiner Ehefrau erwarb Hugo Juhl 1912 einige größere Immobilien in der Viktoriastraße 48 und 50 und errichtete hier neue Produktionsanlagen für die Wäschefabrik und ein Wohnhaus für die Familie.

1913 konnte nach der Fertigstellung der Gebäude mit der Fabrikation von Aussteuer, sowie Damen- und Herrenwäsche begonnen werden.

Nachdem die Firma in den 1920er-Jahren infolge der ständigen Nachfrage und eines   kurzzeitigen Exportbooms, beschäftigte das Unternehmen „Juhl & Helmke“ 1924 bereits 210 Arbeiter*innen und war somit der viertgrößte Betrieb der Branche in Bielefeld. Der erwirtschaftete Gewinn wurde überwiegend in Immobilien investiert.

1929 setzte weltweit eine schwere Wirtschaftskrise ein und die Nachfrage nach Textilien brach ein. Juhl reagierte darauf mit Umstrukturierungs- und Rationalisierungsmaßnah-men, so dass er 1929 nur noch ca. 100 Mitarbeiter*innen beschäftigte.

Noch im selben Jahr wandelte er sein Unternehmen in eine GmbH um, in der neben seiner Gattin Klara seine beiden Töchter Mathilde und Hanna als Gesellschafterinnen fungierten. Der Firmenname lautete fortan „Juhl & Helmke“.

Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler im Jahr 1933 gelangten die Nationalsozialisten an die Macht. Jüdische Geschäfte wurden nun systematisch boykottiert, Jüdinnen und Juden zum Verkauf oder zur Aufgabe ihrer Unternehmen gedrängt. Trotz der zunehmend feindlichen Bedingungen gelang es Familie Juhl, den Unternehmensgewinn weiter zu steigern.

Hugo Juhl (Mitte) anlässlich des 30-jährigen Betriebsjubiläums von Prokurist Georg Specht am 1. Oktober 1934. Eine Person (rechts) mit einem Hakenkreuz am Oberarm, Quelle: Förderverein Projekt Wäschefabrik e. V.

Dennoch sah sich auch Hugo Juhl im März 1938 aufgrund überhandnehmender Repres-salien (Judenvermögensabgabe u.a.), aber auch aufgrund gesundheitlicher Probleme dazu gezwungen, das Familienunternehmen an die Gebrüder Theodor und Georg Winkler aus Dresden zu verkaufen. Mit diesem Schritt kam er einer erzwungenen Geschäftsüber-gabe zuvor.

Im Juni 1939 starb Hugo Juhl in Bielefeld an Nieren- und Kreislaufversagen. Seine Frau emigrierte zusammen mit den Töchtern und ihren Familien nach Amsterdam. Während dem Ehemann der Tochter Hanna 1940 die Flucht in einem Boot über die Nordsee nach England gelang, begingen die Ehefrau und ihre beiden Töchter Selbstmord, um einer Deportation durch die Nazis zu entgehen.

Der Stolperstein im Stadtbild Bielefeld erinnert an das Schicksal der früheren Hausbewohner Juhl. Es ist ein Platz, um inne zu halten und sich zu besinnen.

Der Stolperstein erinnert an das Schicksal der drei Menschen, die in den Suizid getrieben wurden, Quelle: Stolperstein-Initiative Bielefeld e. V.

Bei den folgenden Links kommen Sie der Geschichte „Arbeiten und Leben in einer Bielefelder Wäschefabrik“ und „Leben der Familien“ auf die Spur. Sie spannt den Bogen über ein ganzes Jahrhundert.

Dieses und weitere Ereignisse der Industrialisierung im Überblick