Die Eisenbahn in Bielefeld: Schienen und Schatten – Wohlstand und Aufstand

Darstellung eines zeitgenössischen Künstlers: „Se sind nau nich ferrig dat sind se nich.“ Auch vor 178 Jahren wurden lang andauernde Bauarbeiten belächelt, Quelle: Stadtarchiv Bielefeld.

Nach jahrzehntelangen Diskussionen und ungeheuer aufwändigen Bauarbeiten an der Strecke lief am 15. Oktober 1847 erstmals ein Zug der Köln-Mindener-Eisenbahn in Bielefeld ein. Zwei Jahre darauf eröffnete auf „Crüwells Camp“ auch ein „Steinernes Bahnhofsgebäude“, das einen zunächst provisorisch errichteten Fachwerkbau ersetzte. Hier, im Norden der Altstadt, schlug in den folgenden Jahrzehnten das Herz des Fortschritts, das der noch beschaulichen Kleinstadt eine erfolgreiche Zukunft versprach. Und tatsächlich, die Anbindung Bielefelds an die Wirtschaftszentren Preußens, des Deutschen Reiches und schließlich Europas, ließ Handel und Gewerbe dank des Im- und Exports von allerlei Gütern aufblühen und steigerte die Mobilität der Menschen. Rund um den Bahnhof entstanden zahlreiche Fabriken, Handwerksbetriebe und Wohnungen für die Arbeiter*innen. Die Stadt wuchs im Zuge der Industrialisierung von 10.000 Einwohner*innen im Jahre 1849 auf knapp 80.000 im Sommer 1919 an.

Doch hinter der strahlenden Fassade des Fortschritts verbargen sich auch dunkle Schatten: Die Arbeitsbedingungen der Eisenbahnbauarbeiter waren hart, die Arbeitszeiten lang – häufig von 04 bis 20 Uhr. Hetze und Disziplin bestimmten den Arbeitstag der Arbeiter. Vergütet wurde der Großteil der Arbeiter in der Lohnform der „Akkordarbeit. Im Gegensatz zum Zeitlohn wurden die Arbeiter nach der Menge ihrer geleisteten Arbeit bezahlt. Und die Löhne beim Bau der Eisenbahn? Ärmliche, teils ausbleibende Löhne. Dass es trotz dieser Arbeitsbedingungen tausende Bewerbungen für die Jobs gegeben hat, ist Zeugnis der Notlage, in der sich viele Menschen befanden.

Die Legitimationskarte war Voraussetzung für jeden Arbeiter, um für die Bauarbeiten angestellt werden zu können, Quelle: Stadtarchiv Bielefeld.

Der Frust der Arbeiter entlud sich während des Baus der Eisenbahn 1845 am Viadukt in Schildesche in einer beeindruckenden Demonstration: 2.000 Arbeiter legten damals ihre Arbeit nieder und kämpften für ihre Rechte. Nach Eröffnung der Bahn fanden sich viele der Arbeiter, die innerhalb von drei Jahren die Strecke gebaut hatten, vielfach in der Arbeitslosigkeit wieder. Nur wenige konnten, beispielsweise als Streckenwärter, Arbeit bei der Bahn finden.

Das Viadukt in Schildesche. Hier entlud sich im Juli 1845 der Frust der Arbeiter, Quelle: Stadtarchiv Bielefeld.

In den darauffolgenden Jahren entbrannten Diskussionen um weitere Bahnlinien: Eine Verbindung nach Paderborn wurde 1902 eröffnet, eine in die Rattenfängerstadt Hameln 1903. Schon 1886 wurde eine Linie nach Osnabrück eröffnet, mit der ein tragisches Einzelschicksal verbunden wird: Die Geschichte von Wilhelm Stuckemeyer. Vor der Inbetriebnahme der Eisenbahn transportierte er täglich unermüdlich Güter und Menschen zwischen Bielefeld und Halle hin und her. Kaum war die Bahnstrecke zwischen Bielefeld und Halle 1886 eröffnet, verlor er seine Existenzgrundlage. An den Fuhrmann, der wegen seiner stets guten Laune sehr beliebt war, erinnert der Streckenname zwischen Halle und Bielefeld – der Haller Willem.

Dieses und weitere Ereignisse der Industrialisierung im Überblick